Alarmstufe Rot: Gedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer

Alarmstufe RotGedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer

von Leon Jamaer
Muss ich zum Glück auch nicht, denn ich habe einen gemütlich ausgebauten Bus als mobile Unterkunft. Ich lausche dem verbauten 2.0 Liter TDI Motor und frage mich, wieviel Softwareleistung für das gleichmäßige Schnurren jetzt gerade wohl notwendig ist - bis ich in Agger, einem Spot südlich von Klitmoeller, ankomme. Direkt springt ein weiterer Überrest des Sturmes, der in den Tagen zuvor tobte, ins Auge: Plastik, überall - am Strand und bis weit rauf in die Dünen. Ich habe Neoprenschuhe, daher kann mich der ganze Müll auf dem Weg zum Wasser nicht weiter stören. Der Sturm hat mir eine schöne Dünung zum Wellenreiten da gelassen und ich genieße die einsamen Wellen bis die Sonne bereits gegen vier Uhr nachmittags in der Nordsee versinkt. Die Zubereitung des Abendessens soll ein Großteil der dunklen Stunden überbrücken. Es gibt Ente - 3,50 bei Aldi - mit Kartoffeln und Rotkohl. Während ich die Soße abschmecke, will mir der besorgte Hörer vom Deutschlandfunk nicht aus dem Kopf gehen. Wenn der wüsste, was ich hier gerade mit wertvollen Ressourcen anstelle, er würde mich wahrscheinlich direkt in Gollum-Manier samt Festmahl ins Feuer von Mordor werfen.
Alarmstufe Rot: Gedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer
Alarmstufe Rot: Gedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer
Alarmstufe Rot: Gedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer
Zumindest ist es nach dem Essen so langsam Zeit sich schlafen zu legen. Am nächsten morgen weht der Wind aus Südost, die Sonne scheint und ich bin alleine auf dem Wasser. Ich genieße die sauberen Wellen für eine gute Weile bis plötzlich zwei Kameramänner und ein Fotograf auftauchen und sich mit dicken Stativen am Strand positionieren. Auf einmal gleitet auch Kevin Prichard um mich herum und fortan toben wir uns gemeinsam in den in Dänemark eher seltenen side-off Bedingungen aus. Das war es nun mit meiner idyllischen Einsamkeit. Später, als er und seine Crew mich auf einen Saunagang ins Ferienhaus einladen, kann ich ihm aber wieder verzeihen. Es stellt sich heraus, Kevin wurde es in Hawaii zu warm und ist für ein fünf-tägiges Videoprojekt nach Cold Hawaii geflogen. Das passt zu dem kürzlich erschienenen Videoprojekt von Philip Köster, Levi Siver und Brawzihno (Marcilio Browne, Anm. d. Red.), das zeigt, wie sie für Red Bull extra zum Lake Michigan in den USA reisen, um dort mit kalten Fingern auf Flachwasser zu surfen. Kalt ist das neue warm - das beschließen in diesen Stunden auch Abgeordnete und Staatsmänner bei der Klimakonferenz in Paris!
Alarmstufe Rot: Gedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer
Alarmstufe Rot: Gedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer
Alarmstufe Rot: Gedanken zum Klimawandel von Leon Jamaer
Meine Windsurfkollegen sind also noch viel größere Klimasünder als ich - was für eine Erleichterung! Der Sturm am nächsten Tag fegt das schlechte Gewissen weit auf die brodelnde Nordsee hinaus. Das Chaos am Muschelriff halte ich nur kurz aus, dann belohne ich mich vor Hanstholm, wo die Wellen gerade in Topocalma-Qualität heran rollen. Auf dem Heimweg ziehe ich Ressourcenbilanz: 800 Kilometer im Auto, 600 Gramm Ente, 1 Saunagang. Dafür gab es 4 gute Tage auf dem Wasser. Das reicht immerhin noch für einen knapp gelblichen Klimadaumen. Den brauche ich auch dringend, denn mein nächstes Reiseziel ist das einige tausend Kilometer entfernt gelegene Südafrika. Ich buche direkt zweieinhalb Monate Aufenthalt - die Bilanz im Hinterkopf, damit ich nicht bei jeder Grillparty absagen muss. Vielleicht ist der alte Arnold stolz auf mich, vielleicht ist er auch beschämt. Als er in meinem Alter war, wurde er durch gnadenloses Gemetzel, riesige Muskeln und Sätze wie Du schlägst wie ein Vegetarier! bekannt.

Fotos: Julian Robinet, Mark Wengler

Specials


News


Neu auf Windsurfers